Bilder aus Winsen mit der Camera Obscura
Rede aus Anlass der Vernissage von Mathias Riemann
Zu der Ausstellung in den Räumen des Winser Kulturcafé nebenan begrüße ich ganz herzlich Przemek Zajfert. Herr Zajfert, wohnhaft in Stuttgart, von Hause aus Fotograf wie schon sein Großvater, hat die Initialzündung zu dieser Ausstellung gegeben, deren Bilder dann letztlich von ganz unterschiedlichen und verschiedenen Menschen gestaltet wurden. 16 Fotos hier in diesem Bereich aus Winsen, die kleinen und mittleren Formaten aus München, Polen, England —wer weiß, vielleicht entdecken Sie noch einen weiteren Ort! Und dann die mehr oder weniger Schwarz weiß Aufnahmen, mehr chamois! und Sepia von Przemek Zajfert selber – Fotoarbeiten von vor 10 Jahren aus dem beschaulichen kleinen Universitätsstädtchen Tübingen, knapp 30 Kilometer südlich seines Wohnortes Stuttgart.
Gemeinsam ist allen, dass sie mit der ältesten Fototechnik der Welt aufgenommen wurden, einer Lochkamera. Die Lochkamera ist das Erkennungszeichen des Künstlers, der verschiedene Lochkameras ausprobiert hat – verschieden sind sie in der Variation Schachtel und Belichtungszeit. Letzteres wiederum hängt vom benutzten Fotomaterial ab. Auf der einen Seite das Einfallsloch für das Licht, auf der anderen Seite der kleinen Black Box das fotoempfindliche Material, das je nach Beschaffenheit 3 Minuten, 2 Stunden, einen oder gar 7 Tage, gar 14 Tage belichtet wird. Die Tübinger Fotografien haben weit geringere Belichtungszeiten – 2 Stunden – als die kleinen4x5 oder 5×7 Filmformate, die zB Platz in einer Filmschachtel finden, wie die Älteren unter uns sie noch aus Zeiten der chemischen Fotografie kennen, als Agfa, Kodak oder Ilford ihre Filme in diesen Filmdosen verkauft haben. Diese Filmformate vertragen Belichtungszeiten von 7 Tagen bis letztlich sogar einem Jahr!
Eine Schachtel entsteht, mit einer winzigen Öffnung, die etwa Blende 180 entspricht, gebogen in der Filmdose, was einem Weitwinkel von ca 120 Grad nahekommt. Das Ganze ist dabei nicht einfach eine Marotte, ein Zufallsprodukt aus eine Laune heraus, um damit ein wenig Geld zu verdienen auf einem adventlichen Weihnachtsmarkt. Genauso wenig wie es Zufall ist, was an Gestaltung herauskommt. Dahinter steckt eine sehr grundsätzliche Überlegung – Denn in jeder – zumal immer komplexer werdenden – technischen Ausrichtung, wie wir sie in der Fotografie erleben, steckt die Beschneidung innerhalb des technischen Programms. Der Fotograf bewegt sich in den Grenzen, die ihm die Technik auferlegt. Wenn Przemek Zajfert hingegen diese Technik meidet bzw auf ein Minimum reduziert, gewinnt er größtmöglichen künstlerischen Freiraum.
Przemek Zajfert hat inzwischen über 5000 dieser Filmdosen-cameras weltweit verkauft – in Winsen kamen wie gesagt 16 dieser kleinen cameras obscura zum Einsatz – Kirche und Brücke, Schuppen und abstrakte Spiegelung, das Haus gegenüber, die Kirchstraße, ein Spielgerät, der bekannte Blick aus dem Fenster – bekannte und weniger bekannte Motive finden sich.
Gemeinsam ist ihnen, dass ihre Autoren sich Zeit genommen haben, Zeit, um zu überlegen, wo stelle ich die Fotodose auf? Zeit, dass das Licht hineinfallen kann. Przemek Zajfert hat dieses Projekt The 7th Day genannt, sieben Tage, oder der 7.Tag. Am siebten Tag aber ruhte Gott von allen seinen Werken, die er gemacht und geschaffen hatte. So sind Himmel und Erde geworden, als sie geschaffen wurden.
Die Zahl 7 gibt dabei einen Rhythmus vor, sie beschreibt einen Bogen, da sie auf die Vollendung, auf das Geschaffene, auf das Fertige hinzielt. Es ist eine gerichtete Zahl. Sie grenzt sich von dem dauerndem Tun, der Vielgestaltigkeit, der permanenten hektischen Bewegung ab. Ich finde es am spannnensten an den Bildern dieses Projektes, dass sie zwar Bewegung einfangen – aber eben nicht den Flug des Vogels, die Winzigkeit eines Augenblicks, wenn ein Auto vorbeifährt – nein, die Fotos wirken insgesamt so, als seien sie insgesamt in Bewegung, anders gesagt: einer Schaffensbewegung ausgesetzt, aus der sie zur Ruhe gebracht wurden. Die Kanten bleiben eben nicht gestochen scharf gezeichnet und die Farben wirken wie gemalt, aquarelliert. Die Betrachtung löst dabei einen wohltueenden Reflex aus – ich denke mir, mein Auge dankt es mir, sich nicht dauernd scharf stellen zu müssen. Die digitale Welt ist ja eine Welt, die mein Auge dazu nötigt, permanent hinter der Vielzahl von kleinen Datenpunkten hinterherzuflitzen – das gestochen scharfe Bild ist in Wirklichkeit eine optische Täuschung, da es diese Schärfe aus einem Abbildungsvorgang gewinnt, der auf eine maximale Ausblendung der Geschwindigkeit abzielt, in der sich die einzelnen Teilchen hin und her bewegen.
Kurz: Die Fotos der camera obscura interpretieren die Zeit, sie setzen sich mit der Zeit, der Vergänglichkeit auseinander.
Die lange Belichtungszeit erzielt dabei zusätzlich zwei Effekte, die in einem weiteren Bogen auf das Grundthema der Zeit bezogen sind. Zum einen wird in vielen Fotos der Verlauf der Sonne nachgezeichnet. Man sieht an den Fotos, ob die camera gegen Osten gerichtet wurde, wenn langsam die Sonne steigt oder gegen Westen, wenn sie abfällt. Man sieht an den Fotos die Bewegung der Erde, wenn am nächsten Tag sich ein etwas höherer Streifen der Sonne abgebildet hat – im Winter und Frühjahr stehen diese Streifen enger zusammen, im Sommer ziehen sie sich weiter auseinander. Trotz Sonne und Tageslicht stehen die Bilder, jedenfalls die 7 Tage belichteten Bilder, aber ohne Schatten da. Wahrscheinlich wirken sie daher auf eine gewisse Weise magisch, unbestimmt. Der Schatten gibt die dem Licht abgewandte Seite wieder, mithin steht der Schatten für die dunklen Seiten, für den Schatten des Mörders in den Filmen von Orson Welles. Die Fotos wirken so, als seien sie mitten in der Nacht fotografiert und künstlich aufgehellt, wie am Morgengrauen, wenn das Licht noch nicht die Kraft hat, Teile des Bildes auszuleuchten, um andere Teile in den Schatten zu stellen. Dh, die lange Belichtungszeit der camera obscura überspringt sozusagen Tag für Tag die Kraft der Sonne, das eine zu erhellen und das andere ins Abseits zu setzen. Es bleibt die Summe all dessen. Der Schatten zieht wie die Sonne über das Bild und verleiht dem Foto seine Bewegungsunschärfe, seine Magie. Der 7.Tag markiert in der Schöpfungsgeschichte den Ruhetag, anders gesagt: die Fertigstellung der Schöpfung. Aber ist die Schöpfung wirklich fertig? Der Philospoh Ernst Bloch sagt: Wir sind, aber wir haben uns noch nicht. Für mich halten die hier gezeigten Fotos gewissermaßen diesen Augenblick fest – ja, das Geschaffene ist da, es ist zur Welt gekommen, es ist da – aber wir warten doch noch darauf, darin uns zu haben, uns in den Grenzen von Licht und Schatten immer wieder neu zu sehen, zu erfinden, zu haben. Ernst Bloch hatte die Angewohnheit, über dies und andere philosophische Fragen in dem Sessel nachzudenken, den er bei seinen Vorträgen in der Gastl-schen Buchhandlung benutzte. Przemek Zajfert hat dieses Objekt der Begierde – ich habe in Tübingen studiert, ich kann das beurteilen – abgebildet, es hängt in der kleinen Tübingen Reihe im Nebenraum. Dort sehen sie auch ein Foto von Walter Jens, ebenfalls eine Tübinger Lokalgröße, die es zu literarischem Ruhm gebracht hat. Walter Jens in seinem Sessel in seinem Studierzimmer – zwei Stunden, mal stand er auf, mal bewegte er sich, mal blieb er sitzen – sein Körper wie ein Geist, der über das Bild huscht; ein fast prophetisches Foto, wenn man bedenkt, wie in der Folge das Leben von Walter Jens sich langsam von der Erde verabschiedete.
Mit diesem Hinweis beende ich die Einführung in diese Ausstellung, über deren Zustandekommen ich mich sehr freue und erkläre sie für eröffnet. Schauen Sie sich in den Räumen um, und kommen dann nach draußen – draußen wartet Musik und dann der Vortrag von Hans-Martin Heinemann aus Hannover